Eine eigenartige Kollegin

Manche Anfragen von Kollegen offenbaren deren eigenartige Einstellung zu ihrem Beruf und zur Verschwiegenheitsverpflichtung.

In der Akte eines amtsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens, das die Staatsanwaltschaft gegen einen Mandanten, einem Rechtsanwalt, geführt hat, fand ich das Aktenzeichen eines weiteren Verfahrens.

Ich vermutete eine Verbindung zwischen den beiden Verfahren und wollte ausschließen, dass an anderer Stelle etwas im Verborgenen blüht. Also habe ich auch Akteneinsicht in das vermeintliche „Parallel“-Verfahren beantragt.

Wenig später meldete sich eine Oberstaatsanwältin und teilte mir telefonisch die Hintergründe mit. Das neue Verfahren habe mit meinem Mandanten nichts zu tun. Damit war die Sache insoweit erledigt.

Vor ein paar Tagen nun, etwa ein halbes Jahr nach diesem Gespräch, meldete sich hier eine Rechtsanwältin. Sie forderte in einen recht robusten Tonfall gegenüber meiner Assistentin am Telefon Auskunft von mir, aus welchem Grund ich in „ihrer Sache“ Akteneinsicht beantragt hätte; und mit welcher Berechtigung.

 

Was erwartet so eine Rechtsanwältin von mir? Die auch für diese Kollegin zuständige Rechtsanwaltskammer München hat eine wunderschöne und auch für berufsrechtliche Laien unter den Rechtsanwältinnen verständliche Zusammenstellung der Vorschriften zur Verschwiegenheitspflicht veröffentlicht.

Dort und in den dort zitierten Vorschriften kann man nachlesen, dass eine Rechtsanwaltskanzlei keine Auskunftei ist bzw. sein darf. Mal eben per schnoddrigem Anruf einen Kollegen zu einem Berufsrechtsverstoß anzustiften versuchen, erscheint mir als ein deutlicher Hinweis auf ein eigenartiges Verständnis von den eigenen berufsrechtlichen Pflichten.

 

Vielleicht ist genau das auch der Grund, aus dem diese Kollegin mit der Oberstaatsanwältin „Kontakt“ hatte – die ist nämlich zuständig bei der Generalstaatsanwaltschaft München für Berufsrechtsverstöße von Rechtsanwältinnen in anwaltsgerichtlichen Ermittlungsverfahren.

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