Hartes und scharfes Geschwätz

Nach dem Anschlag von Solingen ist allenthalben der Ruf nach harter Bestrafung des Täters zu hören. Und nach einer Verschärfung des Waffengesetzes.

Die WAZ titelt:

Faeser fordert harte Strafe

Welches Strafmaß stellt sich unsere Innenministerin vor? Für Mord in drei Fällen, mehrfachen versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung?

Ein kurzer Blick ins Gesetz hätte genügt, um diese Forderung als überflüssigen Unsinn zu disqualifizieren. § 211 StGB sieht eine lebenslange Freiheitsstrafe vor, und zwar quasi automatisch, wenn die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind. Dass ein Gericht dies feststellt, ist zu erwarten. Ebenso ist mit der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld zu rechnen, so dass eine Strafaussetzung zur Bewährung nach 15 Jahren nicht zu erwarten ist.

Welche „harte Strafe“ stellt sich die Juristin Faeser vor? Ist ihre Forderung eine populistische Anbiederung an diejenigen, die den Artikel 102 des Grundgesetzes abschaffen wollen?

Auch der Bundeskanzler bläst laut FAZ in dieses demagogische Horn:

Nach dem Messerangriff in Solingen mit drei Toten hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für ein schärferes Waffenrecht ausgesprochen.

Soweit bekannt ist, hatte das Messer, mit dem der Anschlag verübt wurde, eine Klingenlänge von 15 cm.

§ 42a WaffG verbietet das Führen von Messern mit einer Klingenlänge von mehr als 12 cm. Auch Olaf Scholz ist gelernter Jurist und weiß genau, welche Wirkung eine Verschärfung des Waffenrechts in diesem konkreten Fall gehabt hätte: Keine!

Ich verstehe und begrüße es, wenn sich unsere Regierenden zu dem Anschlag in angemessener Weise positionieren und öffentlich äußern; das gehört zu ihren Aufgaben. Unangemessenes populistisches Geschwätz sollten sie sich und uns ersparen.

Selbstbefriedigendes Klagen

Seit Samstag gibt es sie nun, die Bundesnotbremse:

Das Gesetz wurde am 13.04.2021 vom Kabinett und am 21.04.2021 vom Deutschen Bundestag beschlossen. Am 22. April hat sich der Bundesrat damit befasst. Am 23. April ist das Gesetz in Kraft getreten. Das erste Mal greift das Gesetz also am 24.04.2021.

Quelle: Bundesgesundheitsministerium

Wie der mitzuteilende Beziehungsstatus bei Facebook ist auch das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (4. BevSchG) komplifiziert.

Wer genau wissen möchte: „Was gilt ab einer Inzidenz von 100 für Bürgerinnen und Bürger?“ und: „Was darf öffnen, was muss schließen bei einer Inzidenz über 100?“ kann sich in den FAQs des Bundesgesundheitsministeriums informieren; sie sind auch für Nichtjuristen einigermaßen verständlich formuliert.

Es war vorhersehbar, dass einigen Menschen die Einschränkungen nicht gefallen. Deswegen sind die eingereichten Verfassungsbeschwerden inkl. der entsprechenden Eilanträge nicht überraschend.

Die „Klagewelle“

Was mich nachdenklich macht, ist jedoch die relativ hohe Anzahl der Beschwerden, die teilweise unter großem medialen Getöse nach Karlsruhe geschickt wurden.

Wenn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auch nur einer einzigen Verfassungsbeschwerde stattgeben, ist das 4. BevSchG Geschichte.

Man könnte nun auf die Idee kommen, einfach diejenigen machen lassen, die etwas davon verstehen. Ich denke da zum Beispiel an Ulf Buermeyer und/oder die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).

Alle anderen lehnen sich entspannt zurück, unterstützen die GFF finanziell oder intellektuell und drücken den professionellen Beschwerdeführern die Daumen.

Mir drängt sich der Verdacht auf, dass es den zahlreichen anderen Beschwerten gar nicht zuerst um die Beseitigung einer in ihren Augen verfassungswidrigen Rechtsnorm geht. Sondern um Darstellung und Befriedigung ihres jeweils eigenen Egos.

Das BVerfG wird die Klagen und Anträge ohnehin zusammenfassen, um eine einheitliche Entscheidung für alle zu treffen. Und dann ist es für die Sache vollkommen Wurst, wer als Beschwerdeführer im Rubrum des Beschlusses (oder später des Urteils) steht.

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Nicht nochmal

Schon die alten Lateiner wussten: Ne bis in idem – nicht zweimal in derselben Sache. Für den, der es ausführlicher mag: Bis de eadem re ne sit actio – zweimal sei in derselben Sache keine Gerichtsverhandlung.

2.000 Jahre später haben kluge deutsche Männer und Frauen diesen Grundsatz so formuliert:

Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Art. 103 Abs. 3 GG

Kundige Juristen, die zu diesem Verbot der Doppelverfolgung (oder Mehrfachbestrafung) dicke Bücher geschrieben und lange Urteile verfasst haben, beziehen das nicht nur auf Verurteilungen. Sondern auch auf Freisprüche. Und das ist auch gut so.

Wenn einmal ein Gericht rechtskräftig über Schuld und Unschuld entschieden hat, soll es dabei bleiben. Die Strafklage ist verbraucht. Ein für allemal.

Keine Regel ohne Ausnahme, so auch hier. § 362 StPO zählt abschließend vier Fälle auf, in denen dann doch noch einmal geurteilt werden darf.

Nur grobe Manipulationen und heftige Amtspflichtverletzungen sowie das nachträgliche Geständnis eines Freigesprochenen können zur Wiederaufnahme eines Verfahrens zuungunsten eines Verurteilten bzw. Freigesprochenen führen. Sonst nichts.

Schon vor 2.000 Jahren, dann am 23.05.1949 und schließlich bis heute war und ist man sich einig, dass der Rechtsfrieden und die Rechtssicherheit ein größeres Gewicht haben müssen als die materielle Gerechtigkeit.

Geplante Gesetzesänderung

Medienberichten zufolge vertritt der rechtspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion Jan-Marco Luczak eine andere Ansicht. Er fühlt sich der materiellen Gerechtigkeit verpflichtet.

Für uns ist es nicht hinnehmbar, wenn ein Mörder weiter frei herumlaufen kann, obwohl er aufgrund neuer Beweismittel sicher überführt werden könnte.

Dieser Satz in sich schon unsinnig, nimmt man die europäische Menschenrechtskonvention ernst:

Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.

Art. 6 Abs. 2 EMRK

Erst Recht, wenn ein Mensch freigesprochen wurde, kommt ein ernst nehmender und ernst zu nehmender Jurist nicht auf den Gedanken, ihn als Mörder zu bezeichnen.

Der Versuch, die Wiederaufnahmemöglichkeiten in Bezug auf nicht verjährbare Straftaten zu erweitern, stellt meiner Ansicht nach einen Bruch dieses über zweitausend Jahre alten Grundsatzes dar.

Im Übrigen möchte ich nicht erleben, dass diese Tür zur Durchbrechung der Rechtskraft geöffnet wird, damit im weiteren Verlauf ein vormals beschuldigter Freigesprochene dann auch wegen anderer „schwere Straftaten“ beliebig oft vor Gericht gestellt werden kann.

Bericht von Hasso Suliak in LTO vom 29.01.2021
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