Anruf in den Knast

Die Möglichkeiten des Gefangenen einer Untersuchungshaftanstalt, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen, sind eingeschränkt. Aber in die entgegen gesetzte Richtung ist es auch nicht einfacher.

Der Beschuldigte sitzt in einer Untersuchungshaftanstalt außerhalb Berlins. Deswegen sind Besuche des Verteidigers, der seinen Sitz in der Hauptstadt hat, sehr aufwändig. Auch wenn es eine zweite Verteidigerin vor Ort gibt, besteht das Bedürfnis der unmittelbaren Kommunikation fort.

Kontakte zum Verteidiger sind – neben den seltenen Besuchen – beschränkt auf Briefpost und Telefonate. Eine Kommunikation per eMail – wie ich sie einmal mit einem Mandanten führen konnte, der in einem amerikanischen Bundesgefängnis saß – wird in meinem Berufsleben nicht mehr möglich werden.

Die Haftanstalt, in der mein Mandant einsitzt, ist bereits eine von den (vermeintlich) fortschrittlicheren, was Telefongespräche angeht. Ihm steht ein Telefonapparat im eigenen Haftraum zur Verfügung.

Aber auch hier gibt es Einschränkungen. Ihm ist es möglich, nur auswählte und genehmigte Rufnummern anrufen zu können. Die Rufnummer des Verteidigers gehört dazu, wenn er sie anmeldet und der Verteidiger entsprechend registriert ist.

Probleme gibt es jedoch dann, wenn der Verteidiger nur via Handynummer direkt erreichbar ist. Das Argument der Gefängnisverwaltung: Der Verteidiger könne ja sein Telefon an dritte Personen weitergeben, mit denen der Gefangene nicht telefonieren darf (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Diese Hürde konnten wir überwinden.

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass der Gefangene über ein Vermögen verfügen muss, das ausreicht, um damit eine ganze Telefongesellschaft zu kaufen.

Die Gefängnis-Telefonie wird nur von einem einzigen Unternehmen angeboten bzw. betrieben: Von der Telio Management GmbH aus Hamburg.

Was Telio dort schreibt hört sich gut an. Aber das Unternehmen ist nicht angetreten, um die Welt zu retten. Sondern um Gewinne zu erwirtschaften.

Und zwar aus den Mitteln, die den Gefangenen zur Verfügung stehen. Womit auf der Hand liegt: Je mehr die Gefangenen zahlen, desto höher fällt die Rendite aus.

Mein Mandant zahlt 23 Cent pro Minute, wenn er mit mir oder mit seiner Frau und seinen Kindern sprechen möchte, die auch nur über Handy erreichbar sind.

Schlaue Menschen könnten nun auf den Gedanken, es so zu machen wie wir damals als Studenten: Ich habe bei meinen Eltern angerufen, es dreimal klingeln lassen und dann aufgelegt. Das war das verabredete Zeichen für einen Rückruf; die Kosten für das Eltern-Sohn-Telefonat (aka: Ferngespräch) haben die Eltern übernommen.

Das funktioniert jedoch nicht im Knast. Wenn der Mandant seinen Verteidiger anruft, wird eine Rufnummer übermittelt, die man zwar zurückrufen kann. Das hört sich dann aber so an:

Anruf aus einer „öffentlichen Einrichtung“

Kann der Mandant seinen Verteidiger erreichen (was bei entsprechender Organisation auch gut funktioniert), muss er sich überlegen, was er bespricht. Mal eben den Akteninhalt erörtern oder einen Haftprüfungstermin vorbereiten geht echt ins Geld.

Einem Bericht von Lotta Drügemöller in der taz vom 08.12.2021 zufolge soll es in Hamburg zu einem Anbieterwechsel und dann zu günstigeren Tarifen kommen:

„Ab dem 1. April bekommt „Gerdes Communications“, der laut Senat günstigste Anbieter, für die nächsten drei Jahre den Zuschlag.“

Wenn man sich die Website dieses Meckenheimer Unternehmens anschaut, werden für die Gefangenen rosige Zeiten anbrechen. Ich hoffe allerdings, dass mein Mandant das nicht mehr erleben muss.

Aktenstudium verboten

Nicht alle Beschuldigten verfügen in der Praxis über die gleichen Rechte. Wer in einer Wirtschaftsstrafsache beschuldigt wird, muss mit besonderen Einschränkungen rechnen.

Es hat ein paar Jahre gedauert, bis der Haftbefehl gegen den ehemaligen Vorstand einer Aktiengesellschaft verkündet werden konnte. Der Herr, nennen wir ihn Gottfried Gluffke, war „unterwegs“, hat sich dann aber selbst gestellt. Denn sein Pass war abgelaufen und einen neuen bekam er nicht (§ 7 Abs. 1 Ziff. 2 PassG), jedenfalls keinen echten.

Das Gericht war sichtlich erleichtert, ihm noch knapp vor Ablauf der Verjährungsfrist die Anklageschrift zustellen zu können. Und zwar per persönlicher Übergabe durch den Vorsitzenden im Termin zur Verkündung des Haftbefehls.

Meine Bemühungen um eine Haftverschonung waren aussichtslos, die Einlieferung in die Justizvollzugsanstalt war nicht zu vermeiden.

Gluffke stellte sich darauf ein, sich nun in aller Ruhe auf seine Verteidigung vorbereiten zu können. Ich hatte ihm aufgegeben, sich zunächst in die Anklage einzuarbeiten. Die dazugehörigen Akten sollte er kurzfristig bekommen.

Drogenschmuggel durch den Vorsitzenden?

Allerdings hatten Gluffke und sein Verteidiger die Rechnung ohne die Wachtmeister der Justizvollzugsanstalt gemacht. Noch bevor sich hinter ihm die schweren Stahltore schlossen, hat man ihm die beiden Stehordner mit der Anklageschrift weggenommen.

Auf meine entsprechende – erfolglose – Intervention einen Tag später musste ich mir sagen lassen: Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich in den Ordnern verbotene Gegenstände befinden.

Mit meinem Argument, dass Drogen oder Waffen in den Ordnern wohl eher unwahrscheinlich wären, es sei denn, man gehe davon aus, der Vorsitzende höchstpersönlich habe Gluffke damit ausstatten wollen, konnte ich wenig bis gar nichts erreichen.

Man begegnete mir statt dessen noch mit dem zusätzlichen Hinweis, es bestehe außerdem eine akute Brandgefahr, wenn Gluffke so viel Papier in seinem Haftraum habe.

In dem Haftprüfungstermin zwei Wochen später habe ich zwar die Aufhebung des Haftbefehls beantragt, weil die Verteidigung – insbesondere der Angeschuldigte – weder die Anklage kannte, noch Akteneinsicht erhalten hatte. Genützt hat das aber nichts.

Es hat dann weitere vier Wochen gedauert, bis Gottfried Gluffke sich über die konkreten Inhalte der gegen ihn erhobenen Vorwürfe informieren konnte.

Überforderte Haftanstalt

Wirtschaftsstrafsachen haben nun einmal die Eigenschaft, in der Regel recht umfangreich zu sein. Die beiden Stehordner und eine mittlere zweistellige Anzahl an Ermittlungsakten sind keine Seltenheit. Aber offenbar sind die Untersuchungshaftanstalten darauf nicht eingestellt und damit überfordert.

Die rechtsstaatliche Qualität eines Strafverfahrens erkennt man sehr gut daran, wie die Justiz mit den Rechten der Beschuldigten umgeht. In Frankfurt am Main sieht es nicht gut aus. Überhaupt nicht gut.