Aktenstudium verboten

Nicht alle Beschuldigten verfügen in der Praxis über die gleichen Rechte. Wer in einer Wirtschaftsstrafsache beschuldigt wird, muss mit besonderen Einschränkungen rechnen.

Es hat ein paar Jahre gedauert, bis der Haftbefehl gegen den ehemaligen Vorstand einer Aktiengesellschaft verkündet werden konnte. Der Herr, nennen wir ihn Gottfried Gluffke, war „unterwegs“, hat sich dann aber selbst gestellt. Denn sein Pass war abgelaufen und einen neuen bekam er nicht (§ 7 Abs. 1 Ziff. 2 PassG), jedenfalls keinen echten.

Das Gericht war sichtlich erleichtert, ihm noch knapp vor Ablauf der Verjährungsfrist die Anklageschrift zustellen zu können. Und zwar per persönlicher Übergabe durch den Vorsitzenden im Termin zur Verkündung des Haftbefehls.

Meine Bemühungen um eine Haftverschonung waren aussichtslos, die Einlieferung in die Justizvollzugsanstalt war nicht zu vermeiden.

Gluffke stellte sich darauf ein, sich nun in aller Ruhe auf seine Verteidigung vorbereiten zu können. Ich hatte ihm aufgegeben, sich zunächst in die Anklage einzuarbeiten. Die dazugehörigen Akten sollte er kurzfristig bekommen.

Drogenschmuggel durch den Vorsitzenden?

Allerdings hatten Gluffke und sein Verteidiger die Rechnung ohne die Wachtmeister der Justizvollzugsanstalt gemacht. Noch bevor sich hinter ihm die schweren Stahltore schlossen, hat man ihm die beiden Stehordner mit der Anklageschrift weggenommen.

Auf meine entsprechende – erfolglose – Intervention einen Tag später musste ich mir sagen lassen: Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich in den Ordnern verbotene Gegenstände befinden.

Mit meinem Argument, dass Drogen oder Waffen in den Ordnern wohl eher unwahrscheinlich wären, es sei denn, man gehe davon aus, der Vorsitzende höchstpersönlich habe Gluffke damit ausstatten wollen, konnte ich wenig bis gar nichts erreichen.

Man begegnete mir statt dessen noch mit dem zusätzlichen Hinweis, es bestehe außerdem eine akute Brandgefahr, wenn Gluffke so viel Papier in seinem Haftraum habe.

In dem Haftprüfungstermin zwei Wochen später habe ich zwar die Aufhebung des Haftbefehls beantragt, weil die Verteidigung – insbesondere der Angeschuldigte – weder die Anklage kannte, noch Akteneinsicht erhalten hatte. Genützt hat das aber nichts.

Es hat dann weitere vier Wochen gedauert, bis Gottfried Gluffke sich über die konkreten Inhalte der gegen ihn erhobenen Vorwürfe informieren konnte.

Überforderte Haftanstalt

Wirtschaftsstrafsachen haben nun einmal die Eigenschaft, in der Regel recht umfangreich zu sein. Die beiden Stehordner und eine mittlere zweistellige Anzahl an Ermittlungsakten sind keine Seltenheit. Aber offenbar sind die Untersuchungshaftanstalten darauf nicht eingestellt und damit überfordert.

Die rechtsstaatliche Qualität eines Strafverfahrens erkennt man sehr gut daran, wie die Justiz mit den Rechten der Beschuldigten umgeht. In Frankfurt am Main sieht es nicht gut aus. Überhaupt nicht gut.

2 Kommentare

  1. Bis man den Verteidiger im Blut wallen spürt, kann dauern. Aber das Wallen des Blutes gegen den Staatsdienst sollte man schnell spüren. Sonst ist es zu spät.

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