Schon die alten Lateiner wussten: Ne bis in idem – nicht zweimal in derselben Sache. Für den, der es ausführlicher mag: Bis de eadem re ne sit actio – zweimal sei in derselben Sache keine Gerichtsverhandlung.
2.000 Jahre später haben kluge deutsche Männer und Frauen diesen Grundsatz so formuliert:
Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.
Art. 103 Abs. 3 GG
Kundige Juristen, die zu diesem Verbot der Doppelverfolgung (oder Mehrfachbestrafung) dicke Bücher geschrieben und lange Urteile verfasst haben, beziehen das nicht nur auf Verurteilungen. Sondern auch auf Freisprüche. Und das ist auch gut so.
Wenn einmal ein Gericht rechtskräftig über Schuld und Unschuld entschieden hat, soll es dabei bleiben. Die Strafklage ist verbraucht. Ein für allemal.
Keine Regel ohne Ausnahme, so auch hier. § 362 StPO zählt abschließend vier Fälle auf, in denen dann doch noch einmal geurteilt werden darf.
Nur grobe Manipulationen und heftige Amtspflichtverletzungen sowie das nachträgliche Geständnis eines Freigesprochenen können zur Wiederaufnahme eines Verfahrens zuungunsten eines Verurteilten bzw. Freigesprochenen führen. Sonst nichts.
Schon vor 2.000 Jahren, dann am 23.05.1949 und schließlich bis heute war und ist man sich einig, dass der Rechtsfrieden und die Rechtssicherheit ein größeres Gewicht haben müssen als die materielle Gerechtigkeit.
Geplante Gesetzesänderung
Medienberichten zufolge vertritt der rechtspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion Jan-Marco Luczak eine andere Ansicht. Er fühlt sich der materiellen Gerechtigkeit verpflichtet.
Für uns ist es nicht hinnehmbar, wenn ein Mörder weiter frei herumlaufen kann, obwohl er aufgrund neuer Beweismittel sicher überführt werden könnte.
Dieser Satz in sich schon unsinnig, nimmt man die europäische Menschenrechtskonvention ernst:
Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.
Art. 6 Abs. 2 EMRK
Erst Recht, wenn ein Mensch freigesprochen wurde, kommt ein ernst nehmender und ernst zu nehmender Jurist nicht auf den Gedanken, ihn als Mörder zu bezeichnen.
Der Versuch, die Wiederaufnahmemöglichkeiten in Bezug auf nicht verjährbare Straftaten zu erweitern, stellt meiner Ansicht nach einen Bruch dieses über zweitausend Jahre alten Grundsatzes dar.
Im Übrigen möchte ich nicht erleben, dass diese Tür zur Durchbrechung der Rechtskraft geöffnet wird, damit im weiteren Verlauf ein vormals beschuldigter Freigesprochene dann auch wegen anderer „schwere Straftaten“ beliebig oft vor Gericht gestellt werden kann.
Bericht von Hasso Suliak in LTO vom 29.01.2021
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