Die Leute bei unserer berufsständische Körperschaft öffentlichen Rechts, also bei der Rechtsanwaltskammer Berlin, haben Langeweile. Und sie vertreten die Ansicht, dass auch die Mitglieder dieser Organisation nichts Besseres zu tun haben, als sich um die Verwaltung ihrer Mitgliedschaft zu kümmern. Deswegen hauen sie einfach mal per beA einen unangespassten Textbaustein raus.
Damit können sie sicherstellen, dass sich daraufhin tausende Kollegen durch ihre Unterlagen wühlen. Denn die Kollegen prüfen dann, ob sie nachweisen können, den Fortbildungsnachweis für das Jahr 2023 an die gelangweilten Leute der Rechtsanwaltskammer Berlin geschickt zu haben.
Um den Leuten bei dieser RAK dabei zu helfen, ihre Langeweile zu vertreiben, habe ich ihnen meine Fortbildungsnachweise noch einmal – diesmal gegen Empfangsbekenntnis – zugesandt.
Vielleicht erbarmen sich noch weitere Kollegen und schicken ihre Fortbildungsnachweise zu Unterhaltungszwecken auch noch einmal an die Kammer.
Ich hatte tatsächlich heute noch etwas freie Zeit und das Wetter war auch nicht zum Spazierengehen geeignet. Deswegen habe ich dann auch noch diesen kleinen Blogbeitrag geschrieben.
Die schlimmsten Folgen der weltweiten Juristenschwemme sind die Lizenzbestimmungen, die sich unterbeschäftigte Vertragsrechtler aus den Fingern gesaugt haben. Und die außer ihnen niemand liest.
Die Installation neuer Software ist stets ein Abenteuer. Besonders bei der ersten Inbetriebnahme des neuen Rechners. Dem Auspacken (neudeutsch: Unboxing) folgt die Einrichtung des Betriebssystems.
Doch bevor es richtig losgehen kann, wird der künftige Computernutzer zu einer quälend langweiligen Lektüre genötigt.
Ich bin mir sehr sicher, dass jeder, aber auch wirklich jeder, der beginnt, dieses ziviljuristische Geschwurbel zu lesen, bereits nach dem ersten Satz seiner Einweisung in die Psychiatrie ein großes Stück näher gekommen ist:
„Abhängig davon, wie Sie die Windows-Software erworben haben, ist dies ist ein Lizenzvertrag (i) zwischen Ihnen und dem Gerätehersteller oder dem Softwareinstallationsunternehmen, der bzw. das die Software zusammen mit Ihrem Gerät vertreibt, oder (ii) zwischen Ihnen und der Microsoft Corporation (bzw. einem verbundenen Unternehmen von Microsoft, je nachdem, wo sich Ihr Wohnsitz oder bei einem Unternehmen Ihr Hauptgeschäftssitz befindet), wenn Sie die Software bei einem Einzelhändler erworben haben.“
Auch die gewissenhaftesten und sorgfältigsten Leser dieser Ergüsse werden spätestens beim Erreichen des Punkts am ersten Satzende tief durchatmen, denn sie haben anschließend 92 1/2 weitere Absätze mit einschläferndem und unverständlichem Text vor sich.
Das liest kein Mensch freiwillig, der seine sieben Sinne beieinander hat.
Also: Nicht annehmen, Deckel zumachen, In- oder Reboxing und zurück mit dem Rechner? Oder Augen zu und durch?
Ich denke, dass die Vertragsjuristen von Microsoft (und in vergleichbaren Fällen von anderen Unternehmen) genau darauf setzen: Dass der gemeine User sich erst dann mit dem Zeug ernsthaft auseinander setzen wird, wenn irgendetwas schief gegangen ist.
Und erst dann wird er merken, welche Bedeutung diese 43.868 Zeichen für ihn haben. Im Grunde kann man den ganzen Sermon in vier (statt 5.626) Worte zusammenfassen:
Wir haften für nix!
Ich werde den Teufel tun und meine mir noch zur Verfügung stehende restliche Lebenszeit mit dem Studium dieses Machwerks von Menschen zu verbringen, die nichts besseres zu tun haben, als sich Formulierungen einfallen zu lassen, von denen sie wissen, dass sie sowieso (fast) niemand zur Kenntnis nimmt.
Diesem ganzen AGB-Mist werde ich auch zukünftig schlicht mit Ignoranz begegnen. Es interessiert mich einfach nicht, was sich irgendwelche pathologisch konditionierte Juristengehirne ausgedacht haben.
Mein Klick auf den Button „Annehmen“ stellt den gestreckten Mittelfinger dar.
Manchmal wiederholt sich die Geschichte doch. Wenn man nicht aufpasst, wenn *wir* nicht aufpassen. Denn es hört einfach nicht auf.
Deswegen einleitend zu diesem Beitrag ein aktualisiertes Zitat von Max Mannheimer: „Wir sind nicht Schuld an dem, was war; aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht.“
Als ich in den 80er Jahren an der Philipps-Universität Marburg mein Jura-Studium begonnen habe, wurde ich aufmerksam auf Erich Schwinge.
Schwinge war nicht nur Jura-Professor, sondern u.a. auch „gefragter Gutachter der Verteidigung in Strafprozessen gegen NS-Täter“. Und er war Kriegsgerichtsrat, deutlicher: Kriegsrichter.
„Besondere Kritik fand nach 1945 der Fall des damals siebzehnjährigen Anton Reschny.[7] Dieser hatte als Wehrmachtsangehöriger, der noch nicht über seine Pflichten belehrt worden war, bei Aufräumarbeiten eine Geldbörse und zwei Armbanduhren an sich genommen. Daraufhin war er wegen Diebstahls unter Ausnutzung der Kriegsverhältnisse (§ 242 Reichsstrafgesetzbuch, § 4 Verordnung gegen Volksschädlinge) angeklagt worden, wofür eine Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren vorgesehen war. Schwinge wandte jedoch die Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches über die Plünderung an. Das Gericht verurteilte Reschny auf dieser Basis zum Tod. Die Todesstrafe wurde allerdings nicht vollstreckt.[8]“ (Quelle: Wikipedia; ausführlicher: Ingo Müller, in: Furchtbare Juristen, München 1987, Seite 192).
Dieser Fall machte in der Uni und unter uns Studenten die Runde. Wir haben uns organisiert, recherchiert und informiert. Es gab die klassischen Widerstände der etablierten Kreise, u.a. wurde uns die weitere Forschung in den Archiven untersagt. Ingo Müller war einer der (wenigen) „erwachsenen“ Juristen, die uns gerade deswegen weiter unterstützten.
Die weiteren Veröffentlichungen der jeweiligen Vita mancher unserer Ausbilder (und deren Lehrer) prägte das Bewusstsein der Jurastudenten in den 80er und 90er Jahren, zumindest an der Uni Marburg. Die Namen der Lehrbuchautoren wie beispielsweise der Klassiker im Verwaltungsrecht Ernst Forsthoff und der von ihm geprägte Begriff der „Daseinsvorsorge“ bekamen ab da einen ganz anderen Klang.
Und heute?
Wie sieht es heute aus? Es gibt keine Kriegsrichter mehr an deutschen Fakultäten. Das Problem der alten Nazis hat eine biologische Lösung gefunden. Alles gut also?
Nein, nicht alles ist gut! Aber es gibt Hoffnung.
Maria Fiedler berichtete bereits im November 2021 im Berliner Tagesspiegel (leider hinter einer Paywall) über eine Initiative von Rechtsreferendaren, die sich dagegen wehren, von einem aktiven und engagierten Mitglied einer Partei ausgebildet zu werden, die ein Zuhause für Faschisten ist.
Antonín Brousek ist (beurlaubter) Richter am Amtsgericht Schöneberg. In dieser Eigenschaft ist er auch Leiter der Arbeitsgemeinschaft, in der Rechtsreferendare auf ihr zweites Staatsexamen und ihre Befähigung zum Richteramt vorbereitet werden.
Sein Weg zu diesem Posten führte über eine Liste der Partei für die Abgeordnetenhauswahl, für die er sich laut Bericht im Tagesspiegel u.a. mit folgendem Redebeitrag qualifizierte:
„Diese Liste erinnert mich an Schindlers Liste. Wenn man auf der steht, dann lebt man, und wenn man nicht auf der steht, dann überlebt man nicht.“
Andere Äußerungen dieses AfD-Funktionärs-Richters offenbaren seine nur wenig versteckte Intension, z.B. den lebhaften Kiez auf der Sonnenallee von allen Menschen säubern zu wollen, denen er den Ariernachweis verweigern würde.
Übernahme von Verantwortung
Die Referendare sind laut Tagesspiegelbericht zunächst mit ihren Versuchen, eine interne Klärung herbeizuführen, gegen die in der Justiz weit verbreitete Wattewand gelaufen. Sie wandten sich vergeblich an die Verwaltung mit der Bitte, diesen Ausbilder davon abzuhalten, seine menschenverachtende Einstellungen jungen Juristen mit auf ihren Weg in den Justizdienst zu geben.
Als sich beim Kammergericht nichts bewegen wollte, hat man sich an die Öffentlichkeit gewandt und den Tagesspiegel per eMail über die gefährliche Ausbildungssituation informiert.
„Das Kammergericht, so heißt es in der Mail, habe sich dafür entschieden, die Referendar:innen von jemandem ausbilden zu lassen, dessen „menschenfeindliches Weltbild öffentlich bekannt“ sei. ‚Wie kann angesichts dessen davon ausgegangen werden, dass eine politisch neutrale Ausbildung gewährleistet ist? Wie sollen wir Referendar*innen und dabei insbesondere solche, die als migrantisch gelesen werden, uns in einem solchen Ausbildungsverhältnis sicher fühlen?’“ (Quelle: Tagesspiegel, s.o.)
Die auf diesem Weg hergestellte Öffentlichkeit soll nun doch intern zum Umdenken geführt haben. Angeblich soll Brousek in der nächsten Ausbildungsphase nicht weiter als Ausbilder beschäftigt werden.
Die Referendare, die sich für die Entfernung solcher Leute wie Bousek einsetzen, haben die von Max Mannheimer, der die Shoah überlebt hat, geforderte Verantwortung übernommen. Dafür sei ihnen gedankt.
Ich schließe mit Bertolt Brecht: „Dass keiner uns zu früh da triumphiert – der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“
Also nicht nachlassen, lieber Nachwuchs. Haut rein!