Proaktiver Vorsitzender

Die Planung einer Verhandlung vor der Wirtschaftstrafkammer ist nicht vergnügungsteuerpflichtig, meinte neulich ein Vorsitzender, der mit mir – und mit weiteren 12 Verteidigern – die Termine abgestimmt hat.

Doch genau das ist sein Job:

Der Termin zur Hauptverhandlung wird von dem Vorsitzenden des Gerichts anberaumt.„, heißt es in § 213 StPO.

Er hat es aber geschafft. Der erste Termin von (bisher) 25 Hauptverhandlungsterminen sollte Mitte Februar stattfinden. Die 13 Angeklagten und fünf Einziehungsbeteiligte sowie ihre Verteidiger bzw. Vertreter hatten ihre Ladungen erhalten.

Was sonst noch im Hintergrund abgelaufen ist, weiß ich nicht; aber sicher gehören die Reservierung des Verhandlungssaals, die Information der Saalwachtmeister, der Protokollführer usw. auch dazu.

Ich kann mir die Erleichterung vorstellen, mit der der Vorsitzende die Terminsplanungsakte als erledigt beiseite gelegt hat.

Und dann hat er in die Corona-Warn-App geschaut:

 

Dann noch ein Blick in die Vorhersagen von Drosten und Lauterbach … und die schöne Planung wurde zur Makulatur.

Ich sehe es förmlich vor meinem geistigen Auge: Der Vorsitzende schluft gesenkten Hauptes mit nach vorn gebeugten Schultern, schwer atmend zu seinem Resopalschreibtisch, wirft den Windows- XP-Rechner an und tippt müde eine eMail an die Staatsanwältin und die Verteidiger:

Damit waren dann die ersten ca. zehn Termine aufgehoben, die am Ende – irgendwann im August – neu organisiert werden müssen.

Manchmal habe ich Mitleid mit den Richtern.

700 Bußgeldverfahren

Die Teilnahme an nicht genehmigten oder gar verbotenen Demonstrationen und sogenannten Spaziergängen wird sich nicht jeder leisten können. Jedenfalls in München nicht.

Nach Polizeiangaben wurden rund 700 Ordnungswidrigkeitsanzeigen erstellt sowie Strafanzeigen gegen zwei Personen, die eine »verantwortliche Rolle« gespielt hätten.“

Der Spiegel berichtete am 30.12.2021 über das Vorgehen der Münchener Polizei, die den provokativen Überschreitungen der deutlichen Grenzen des Versammlungsrechts mit Konsequenz begegnet.

Wie dem Spiegelartikel weiter zu entnehmen ist, soll sich diese Konsequenz im späteren Bußgeldfahren fortsetzen. Akte anlegen, Anhörung rausschicken und dann den Bußgeldbescheid hinterherschicken, kündigt das Kreisverwaltungsreferat an.

Am Ende werde die jeweilige Bußgeldhöhe festgelegt – möglich sind bis zu 3000 Euro.

Es ist damit zu rechnen, dass viele dieser Bußgeldbescheide mit Einsprüchen angegriffen werden. Dann können die Spaziergänger vor den Strafrichtern des Amtsgerichts München weiter demonstrieren.

Vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen, die ich mit Münchener Richtern gemacht habe, wird den meisten der Demonstranten die Freude an der Wiederholung dieser Ausflüge ausgehen. Zumindest aber die finanziellen Mittel für die Folgen.

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Bild von Karsten Paulick auf Pixabay

Abgesoffene Staatsanwaltschaft

Das Mandat ist zum typischen Klassiker geworden: Der Mandant hatte die Corona-Soforthilfen beantragt und erhalten. Zwei Wochen später hat er die Zahlung zurücküberwiesen. Er hatte festgestellt, dass er nicht anspruchsberechtigt ist.

Ein gutes Jahr später leitet die Staatsanwaltschaft Berlin gegen den Mandanten ein Ermittlungsverfahren ein. Sie wirft ihm vor, bedingt vorsätzlich eine Subventionszahlung ertrogen zu haben (§§ 263, 263a, 264 StGB).

Massenverfahren

Von dieser Art Verteidigungsaufträgen sind mehrere in meiner Kanzlei eingegangen. Befreundete Strafverteidiger berichten von vergleichbaren Mandaten.

In den Medien wird ebenfalls berichtet, dass die Staatsanwaltschaft exakt diese Sachverhalte zum Anlass genommen hat, hunderte solcher Ermittlungsverfahren einzuleiten.

In den einfachen Fällen ist das Ende des Verfahrens absehbar. Wenn es im Einzelfall keine weiteren Besonderheiten gibt, ist mit der Einstellung der Verfahren (§ 153 StPO), allenfalls gegen Zahlung einer kleinen Auflage (§ 153a StPO), zu rechnen.

Verteidigungslauf gegen Watte

Vor 3 Monaten habe ich mich in einer solchen Sache als Verteidiger gemeldet und Akteneinsicht beantragt, zunächst bei der Abteilung 241 des Berliner Landeskriminalamts.

Die Beamtin hat daraufhin die Akte mit meinem Akteneinsichtsgesuch an die Staatsanwaltschaft übermittelt und mir das dortige Aktenzeichen mitgeteilt: 283 JS ****/21, da ich nur von dort die Akte bekommen werde.

Um doppelt zu nähen, habe ich mich auch dort nocheinmal direkt gemeldet und auf mein Akteneinsichtsgesuch hingewiesen. Das war Mitte Mai.

Mangels irgendwelcher Reaktionen habe ich Mitte Juni an das Akteneinsichtsgesuch erinnert; und nun vor ein paar Tagen noch einmal.

Verhungern am Telefon

Da es meinem Mandanten unter den Nägeln brennt – so ein offenes Ermittlungsverfahren ist schließlich alles andere als ein Beruhigungsmittel – habe ich versucht, telefonischen Kontakt mit dem zuständigen Staatsanwalt aufzunehmen. Das funktioniert grundsätzlich nur über die Geschäftsstelle.

Die für dieses Verfahren zuständige Geschäftsstelle 283 hat laut (nicht öffentlichem) Telefonsverzeichnis sechs Durchwahlen für sechs verschiedene Sachbeabeiterinnen. Seit nunmehr zwei Tagen versuche ich, unter diesen sechs Nummern irgendjemand zu erreichen, um den Namen des zuständigen Staatsanwalts zu erfahren. Genervt, frustriert, vergeblich.

Es ist hinreichend bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Berlin völlig überlastet ist. Ich bedauere auch die Menschen aufrichtig, die unter diesen Bedingungen dort buckeln und arbeiten müssen.

Aber ich akzeptiere es nicht, dass man dort erst mehr oder minder massenhaft augenscheinlich sinnlose Verfahren einleitet, den Leuten Angst macht und dann – wenn auch unfreiwillig – abtaucht oder absäuft.

Das ultimative Hilfsmittel

Ich schicke nun eine Dienstaufsichtsbeschwerde hinterher und rechne damit, dass ich binnen weniger Tage auf diesem Wege meinem Ziel – den Namen des zuständigen Ermittlers zu erfahren – ein Stückchen weiter kommen werde.

Dass man immer erst mit der Keule kommen muss, damit in den verkorksten Laden Bewegung kommt. Ich würde gern darauf verzichten.

Selbstbefriedigendes Klagen

Seit Samstag gibt es sie nun, die Bundesnotbremse:

Das Gesetz wurde am 13.04.2021 vom Kabinett und am 21.04.2021 vom Deutschen Bundestag beschlossen. Am 22. April hat sich der Bundesrat damit befasst. Am 23. April ist das Gesetz in Kraft getreten. Das erste Mal greift das Gesetz also am 24.04.2021.

Quelle: Bundesgesundheitsministerium

Wie der mitzuteilende Beziehungsstatus bei Facebook ist auch das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (4. BevSchG) komplifiziert.

Wer genau wissen möchte: „Was gilt ab einer Inzidenz von 100 für Bürgerinnen und Bürger?“ und: „Was darf öffnen, was muss schließen bei einer Inzidenz über 100?“ kann sich in den FAQs des Bundesgesundheitsministeriums informieren; sie sind auch für Nichtjuristen einigermaßen verständlich formuliert.

Es war vorhersehbar, dass einigen Menschen die Einschränkungen nicht gefallen. Deswegen sind die eingereichten Verfassungsbeschwerden inkl. der entsprechenden Eilanträge nicht überraschend.

Die „Klagewelle“

Was mich nachdenklich macht, ist jedoch die relativ hohe Anzahl der Beschwerden, die teilweise unter großem medialen Getöse nach Karlsruhe geschickt wurden.

Wenn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auch nur einer einzigen Verfassungsbeschwerde stattgeben, ist das 4. BevSchG Geschichte.

Man könnte nun auf die Idee kommen, einfach diejenigen machen lassen, die etwas davon verstehen. Ich denke da zum Beispiel an Ulf Buermeyer und/oder die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).

Alle anderen lehnen sich entspannt zurück, unterstützen die GFF finanziell oder intellektuell und drücken den professionellen Beschwerdeführern die Daumen.

Mir drängt sich der Verdacht auf, dass es den zahlreichen anderen Beschwerten gar nicht zuerst um die Beseitigung einer in ihren Augen verfassungswidrigen Rechtsnorm geht. Sondern um Darstellung und Befriedigung ihres jeweils eigenen Egos.

Das BVerfG wird die Klagen und Anträge ohnehin zusammenfassen, um eine einheitliche Entscheidung für alle zu treffen. Und dann ist es für die Sache vollkommen Wurst, wer als Beschwerdeführer im Rubrum des Beschlusses (oder später des Urteils) steht.

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Testen statt popeln

Wie man kleine (und vereinzelt auch große) Menschen zum Testen motiviert. Wer popelt schon nicht mal gern zwischendurch? Dann kann man auch gleich mal ein Teststäbchen hinterher reinschieben.

Dauerwelle

Dauerwellen sind überlebenswichtig. Oder Shize auf das Leben, Hauptsache die Frisur sitzt.

Dieter Schütz  / pixelio.de

Leni ist stattliche 93 Jahre alt. Mit ihren altersbedingten Einschränkungen ist sie fit und lebt allein in ihrer top gepflegten Zweizimmerwohnung.

Wir telefonieren unregelmäßig, mal rufe ich an – meist nachmittags, mal erreicht Leni mich morgens früh um halb acht noch beim Wachwerden. Ein freundschaftliches Verhältnis, das sich nach dem Tod ihres Partner verfestigt hat.

Am Wochenende rief Leni mich an. Ihre Schwester Klara sei gestorben, kurz nach ihrem 89. Geburtstag.

Klara lebte sei einigen Jahren schon in einem Seniorenheim und zwar gern. Sie hatte dort alles, was sie brauchte und war zufrieden.

Jetzt hatte sich Klara mit Corona infiziert. Zwei Wochen war sie krank. Dann war sie tot.

Leni berichtete davon, dass das Personal des Seniorenheims es nicht so genau genommen haben soll mit den Masken. Klara habe ihr davon berichtet, dass die Mitarbeiter des Heims sehr oft ohne den Mund-Nase-Schutz herumliefen. Aber Klara habe sich nicht mehr durchsetzen können.

Wir haben noch eine ganze Weile miteinander gesprochen; gegen Ende des Telefonats war Leni nicht mehr ganz so traurig.

Als wir uns verabschieden wollten, frage Leni mich:

Carsten, sag mal, ist unter Deinen Mandanten nicht ein Frisör? Der mal heimlich zu mir kommen könnte, um mir die Dauerwelle zu machen? Ich seh‘ schrecklich aus.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Standpauke zum Thema „Lebensgefährliches Ansteckungsrisiko versus Frisurentrends der 1920er“ genau dort angekommen ist, wo sie ankommen sollte.

Und ich habe gelernt, dass zur Würde eines alten Menschen auch eine anständige Frisur gehört. Selbst dann, wenn nur noch Besuch vom Pflegedienst kommt, der beim Kochen, Aufräumen und Einkaufen hilft.