Never change a running system. Ein eiserner Grundsatz, den jeder Techniker und jeder Nutzer beherzigen sollte. Das gilt ganz besonders für die Telekommunikation.
Seit langer Zeit funktioniert es reibungslos. Ich kann telefonieren und die DSL-Leitung ist – auch Dank eines umsichtigen Technikers der Telekom – absolut stabil.
Grund genug, die Finger davon zu lassen und nichts, gar nichts zu verändern. Dann kann auch nichts kaputtgehen.
Und dann kam das hier:
Um Himmels Willi, was kommt da auf mich zu?! Ich habe nichts beauftragt – eben aus den oben genannten Gründen. Was passiert da jetzt?
Ich habe erstmal die Strategie angewandt, die sich bei vielen meiner Mandanten bewährt hat (wenn ich ihnen glauben würde): Nichts tun und abwarten.
Ich habe ins Gesetz geguckt. Und auch da steht:
Artikel 2: Et kütt wie et kütt. Artikel 3: Et hätt noch emmer joot jejange.
Einen Tag später dann kam schon wieder Post von der Telekom. Mit zittrigen Fingern habe ich die eMail geöffnet:
Puha, nochmal Glück gehabt.
Liebe Telekomiker, schaut in das Gesetz:
Artikel 9: Wat soll dä Kwatsch? … aber gut … Artikel 10: Drinks de ejne met?
Wenn ein erfolgreicher juristischer Verlag das Schnorren anfängt: Ist das ein Hinweis auf dessen kritische finanzielle Lage? Oder einfach nur unverschämt?
Jeder Anwalt kennt das: Mal eben eine Rechtsauskunft erteilen, selbstverständlich kostenlos. Es sind Beratungsschnorrer und Schnäppchenjäger, die Leistungen zu ergaunern versuchen, ohne bereit zu sein, eine Gegenleistung dafür zu erbringen.
Meist handelt es sich dabei um Privatpersonen. Oft ist das Verhalten aber auch aus der Not geboren. Wenn dann der Tonfall stimmt, kann man der Bitte um einen kostenlosen Rechtsrat auch entsprechen. Für solche „pro-bono-Mandate“ hat jeder Anwalt ein gewisses Kontingent.
In einer anderen Liga spielt die Anfrage, die kürzlich von einem namhaften Verlag für juristische Fachliteratur an mich herangetragen wurde.
Die Anfrage
Die leitende Redakteurin einer Zeitschrift, „die sich an Rechtsreferendaren/innen und Berufseinsteiger/innen wendet„, bat mich darum, für diese Veröffentlichung einen Aufsatz zu schreiben.
Die Zeitschrift wird an die jungen Juristen kostenlos verteilt. Es liegt auf der Hand, dass damit die nachwachsende Generation Juristen an den Verlag herangeführt werden soll. Eine gut ausgedachte Marketing-Aktion, die sicher ihren Erfolg haben wird und soll. Soweit, sogut.
Die Redakteurin kam dann auch gleich zackig zur Sache:
„Der Artikel sollte einen Umfang von ca. 15.000 Zeichen mit Leerzeichen haben (also ca. 3 Seiten) und kann gerne mit Fotos aufgelockert werden. Ein kurzer Lebenslauf und ein Foto vom Autor erscheinen zum Artikel, der wenn möglich bis zum 11.02.2022 hier vorliegen sollte.„
Gut, so einen Aufsatz mit den Spielereien drumrum sollte ich innerhalb von zwei bis drei Stunden auf die Festplatte getippt bekommen.
Hört sich gut an, oder? Wenn da nicht der folgende Satz gestanden hätte:
„Eine Vergütung für solch einen Beitrag ist leider nicht vorgesehen.„
Ein kommerzieller Verlag für juristische Fachliteratur bittet mich, einen 15.000 Zeichen langen Artikel für eine Zeitschrift zu schreiben, mit der junge Juristen an den Verlag herangeführt werden sollen.
„Eine Vergütung ist nicht vorgesehen.“ schreibt der Verlag.
Die Stellungnahme des Schwarms war eindeutig: Von 757 abgegebenen Stimmen waren 696 dafür, dem Verlag eine Absage zu erteilen. Das entsprach auch meinem Gefühl, das sich in meinem Magen breitmachte.
Der Verlag veranstaltet eine Marketing-Aktion und ich sollte für lau das Material dazu liefern, damit junge Juristen teure Zeitschriften- und Kommentarliteratur-Abonnements abschließen.
Ich habe dann überlegt, wie ich der Redakteurin (die im Nebenberuf auch Rechtsanwältin ist – oder umgekehrt?) und damit dem Verlag antworte.
Die Reaktion
Mir ist dann folgendes eingefallen:
Ich denke, es war deutlich genug, was ich davon halte, aber immer noch so zurückhaltend, dass man meine Antwort nicht auch für so unverschämt halten kann wie die Anfrage.
Bild: Byzantine and Christian Museum, Athen via Wikipedia
Die Planung einer Verhandlung vor der Wirtschaftstrafkammer ist nicht vergnügungsteuerpflichtig, meinte neulich ein Vorsitzender, der mit mir – und mit weiteren 12 Verteidigern – die Termine abgestimmt hat.
Doch genau das ist sein Job:
„Der Termin zur Hauptverhandlung wird von dem Vorsitzenden des Gerichts anberaumt.„, heißt es in § 213 StPO.
Er hat es aber geschafft. Der erste Termin von (bisher) 25 Hauptverhandlungsterminen sollte Mitte Februar stattfinden. Die 13 Angeklagten und fünf Einziehungsbeteiligte sowie ihre Verteidiger bzw. Vertreter hatten ihre Ladungen erhalten.
Was sonst noch im Hintergrund abgelaufen ist, weiß ich nicht; aber sicher gehören die Reservierung des Verhandlungssaals, die Information der Saalwachtmeister, der Protokollführer usw. auch dazu.
Ich kann mir die Erleichterung vorstellen, mit der der Vorsitzende die Terminsplanungsakte als erledigt beiseite gelegt hat.
Und dann hat er in die Corona-Warn-App geschaut:
Dann noch ein Blick in die Vorhersagen von Drosten und Lauterbach … und die schöne Planung wurde zur Makulatur.
Ich sehe es förmlich vor meinem geistigen Auge: Der Vorsitzende schluft gesenkten Hauptes mit nach vorn gebeugten Schultern, schwer atmend zu seinem Resopalschreibtisch, wirft den Windows- XP-Rechner an und tippt müde eine eMail an die Staatsanwältin und die Verteidiger:
Damit waren dann die ersten ca. zehn Termine aufgehoben, die am Ende – irgendwann im August – neu organisiert werden müssen.
Wenn das eigene Gewissen mit zwingendenVorschriften kollidiert, steht eine erst Abwägung, dann eine Entscheidung an. Die Konsequenzen daraus spürt man manchmal Jahrzehnte später noch.
In einem dreiteiligen Tweet berichtete Victoria über ihre Gewissenskonflikte als Referendarin bei der Staatsanwaltschaft:
„#Jurabubble Ich habe ein großes Problem mit der Staatsanwaltschaftsstation im Referendariat. Ich habe ein Problem mit dieser normalisierten Kriminalisierung von Armut. Ich muss in meiner Sitzungsvertretung dafür plädieren, dass Menschen, die aus Verzweiflung klauen, ins Gefängnis müssen, dass Menschen, die sich kein Bahnticket leisten können addiert 120 Tagessätze zahlen (und dann vielmehr eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müssen), dass einer Mutter ihr Kinderwagen als Tatmittel eingezogen wird, weil sie damit Windeln aus dem Supermarkt geschmuggelt hat. Was für eine Menschenverachtung wohnt dieser Behörde bitte inne? #howtosurvivereferendariat„
Eine Geschichte aus dem Leben eines Strafverteidigers.
Der Thread von Victoria erinnert mich an einen Fall, in dem ich mich als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft geweigert hatte, die Anklage zu verlesen. Ich hatte vergleichbare Problem mit dem Job, den ich machen musste, um mein Ziel – die „Befähigung zum Rechtsanwalt“ – zu erreichen.
Bereits schon vor und erst Recht während des Studiums war mir dieses Strafrecht zuwider. Ich kam aber nicht drumrum, mich damit auseinander setzen zu müssen.
Irgendwann musste ich mir als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft eine gammelige Robe überwerfen und Anklagen verlesen, die andere Staatsanwälte geschrieben hatten. Noch schwerer gefallen sind mir die Anträge, Angeklagte zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe zu verurteilen, weil sie aus vielfältigen Gründen gegen Spielregeln verstoßen hatten, die nicht für sie gemacht waren.
Reißleine
In einem Fall habe ich die Reißleine gezogen – auch als Beamter auf Widerruf, der ich damals war, habe ich mein Gewissen (Art. 4 Abs. 1 GG) nicht auf der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft abgegeben.
In der Akte, die ich am (Nachmit-)Tag vor dem Hauptverhandlungstermin bekommen hatte, ging es um den klassischen „Dreisprung“: Widerstand (§ 113 StGB), Körperverletzung (§ 223 StGB) und Beleidigung (§ 185 StGB) zulasten von Bundespolizisten. Und der § 29 BtMG spielte hier auch noch eine Rolle.
Angeklagt war ein mehrfach vorbestrafter, schwer drogenkranker junger Mann. 27 Jahre und ein geschätztes Gewicht von deutlich unter 60 kg, der bereits in einer anderen Sache eine Freitsstrafe verbüßte. Er musste seinen Betäubungsmittelkonsum finanzieren, Diebstahl, Einbruch, Schwarzfahrten … .
Sein Verteidiger hatte gemeinsam mit den Sozialarbeitern der JVA bereits einen Therapieplatz organisiert. Er wurde vorzeitig aus der Haft entlassen und sollte direkt aus dem Knast in eine Therapieeinrichtung gehen.
Der Absturz
Dort angekommen eröffnete man ihm, dass versehentlich der für ihn reservierte Platz anderweitig vergeben wurde. Es solle sich in vier oder sechs Wochen nochmal melden …
Obdach- und hoffnungslos hat er sich mit dem ihm bekannten Mitteln „behandelt“ und die Freiheit dazu genutzt, seinen Frust und Durst mit Alkohol zu löschen. Irgendwann ist er im Bahnhof Zoo angekommen, hat sich dort auf eine Bank gesetzt und ist eingeschlafen.
Geweckt wurde er von drei (!) Bundespolizeibeamten, allesamt vom Kaliber „Siggi Zweimalzweimeter“, durchtrainiert, mit Armen wie anderer Leute Oberschenkel. In der ihnen eigenen Art haben sie den Angeklagten geweckt.
Mit reichlich Dope und Alk im Kopf hat das 50 kg schwere Wrack ein wenig gezappelt und dummes Zeug geschwätzt. Das ganze Theaterstück war dann in die formvollende Anklageschrift gegossen wurden, die ich vorlesen sollte.
Ich hatte zudem die Anweisung in der Akte, für diese Straftat eine unbedingte Freiheitsstrafe zu beantragen. Weil der Angeklagte ja unbelehrbar sei, las ich in dem Vermerk, sei eine Freiheitsstrafe unverzichtbar.
Widerstand gegen die Staatsanwaltschaft
Als ich erst diesen Sachverhalt, dann die Anklage und schließlich die Anweisung meiner Ausbilderin gelesen hatte, leuchteten die roten Lampen. Beamtenverhältnis und Dienstpflichten hin oder her – hier war für mich die Grenze erreicht.
Ich bin vor Aufruf der Sache zu dem RIchter gegangen und habe ihm mitgeteilt, dass ich diese Anklage nicht verlesen werde. Ich werde mich nicht daran beteiligen, diesen bedauernswerten Menschen für etwas zu sanktionieren, für das er nicht verantwortlich ist.
Das hat es wohl in Moabit noch nicht gegeben: Ein Referendar revoltiert!
Weder war meine Ausbilderin – wie immer alle Ausbilder während einer Sitzungsvertretung – erreichbar, noch der für die Anklage zuständige Dezernent. Die Verhandlung drohte zu platzen.
Der Richter versuchte es erst mit gutem Zureden („…warten Sie doch erstmal die Beweisaufnahme ab.“), dann mit Drohungen (Disziplinarmaßnahmen, Kosten des Termins …) und zuletzt noch mit der Vorhersage meiner Stationsbenotung.
Das war mir alles wurscht, ich hatte eine Gewissenentscheidung getroffen und bin dabei geblieben.
Die Lösung
Der erfahrene Verteidiger hatte die Zwischenzeit genutzt, um im Anwaltszimmer (per Münzfernsprecher!) zu telefonieren. Irgendwann kam er wieder zurück in den Saal, zerschnitt die dort knisternde Luft und verkündete eine Konfliktlösung:
Er hatte die Zusage einer (anderen) Therapieeinrichtung, den Angeklagten am selben Tag noch aufzunehmen. Ich solle die Anklage verlesen, sein Mandant werde sich den Vorwürfen nicht entgegen stellen und das Gericht schickt ihn nicht zurück in den Knast, sondern via § 35 BtMG in die Therapie.
Das war dann die Lösung meines Gewissenskonflikts. Der Junge bekam seine ihm zustehende Behandlung statt einer weiteren sinnlosen Freiheitsstrafe. Mir wurde später dann noch irgendwas Sinn- und Belangloses in meine Personalakte geschrieben. Das war’s dann.
Erfahrung
Für mich war das eine ganz entscheidende und prägende Erfahrung. Bis zu diesem Tag habe ich immer wieder den Druck gespürt und mich dem gebeugt, den dieses System im Studium beginnend, weiter und zunehmend im Referendariat aufgebaut hatte. Hier habe ich gemerkt, dass ich innerhalb dieses Systems Rechte hatte, die ich nutzen und durchsetzen konnte. Ich habe gelernt, dass es möglich ist, effektiven Widerstand zu leisten, wenn dieser aufgrund eigener Überzeugungen notwendig wird.
Ich weiß nicht, glaube es aber auch nicht, dass mir diese Aktion im Rahmen meiner Ausbildung geschadet hätte. Und wenn doch, wäre es durch das Ergebnis gerechtfertigt gewesen.
Conclusio
Liebe Victoria, liebe Auszubildende, das Leben besteht aus Kompromissen, wir müssen immer wieder irgendwelche Kröten schlucken. Es gibt aber rote Linien, die wir nicht überschreiten dürfen, wenn wir uns morgens im Spiegel noch in die Augen schauen wollen.
Dann überlebt man selbst die Station bei der Staatsanwaltschaft. Und wenn ich das geschafft habe, dann schafft Ihr das erst Recht. 😉
PS:
Wie ich dann doch noch zum Strafrecht gekommen bin, und warum der Beruf des Strafverteidigers der beste Job der Welt ist, erzähle ich dann später irgendwann einmal …
Ich möchte gern eine Antragsschrift an das Landgericht Arnsberg schicken. Und das soll jetzt nach dem Willen der BRAK und des Gesetzgebers per besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) erfolgen.
Dazu muss ich eigentlich nur die Adresse des Landgerichts eingeben, der Rest wie die Aktenzeichen etc. steht in meinem Schriftsatz bzw. soll von der Software automatisch übernommen werden.
Also lege ich los und suche in diesem beA die Adresse des Gerichts:
Ok, das Amtsgericht wurde gefunden. Das ist aber hier nicht zuständig.
Zurücksetzen und zweiter Versuch:
Auch hier schlägt mir das beA das Amtsgericht vor. Nein, das möchte ich aber nicht.
Nochmal zurücksetzen und dann den dritten Versuch:
Das beA bleibt stur. Das Landgericht scheint per beA nicht erreichbar zu sein, jedenfalls nicht für mich.
Dann also der bewährte work around: Ich schicke den Schriftsatz wie üblich per Fax auf die Geschäftsstelle der Strafkammer beim Landgericht. Und dann aber noch per beA an das Amtsgericht; sollen die sich doch darum kümmern.
Ich bin zu alt, um mich noch über diesen elenden Mist weiter aufzuregen.
Die Möglichkeiten des Gefangenen einer Untersuchungshaftanstalt, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen, sind eingeschränkt. Aber in die entgegen gesetzte Richtung ist es auch nicht einfacher.
Der Beschuldigte sitzt in einer Untersuchungshaftanstalt außerhalb Berlins. Deswegen sind Besuche des Verteidigers, der seinen Sitz in der Hauptstadt hat, sehr aufwändig. Auch wenn es eine zweite Verteidigerin vor Ort gibt, besteht das Bedürfnis der unmittelbaren Kommunikation fort.
Kontakte zum Verteidiger sind – neben den seltenen Besuchen – beschränkt auf Briefpost und Telefonate. Eine Kommunikation per eMail – wie ich sie einmal mit einem Mandanten führen konnte, der in einem amerikanischen Bundesgefängnis saß – wird in meinem Berufsleben nicht mehr möglich werden.
Die Haftanstalt, in der mein Mandant einsitzt, ist bereits eine von den (vermeintlich) fortschrittlicheren, was Telefongespräche angeht. Ihm steht ein Telefonapparat im eigenen Haftraum zur Verfügung.
Aber auch hier gibt es Einschränkungen. Ihm ist es möglich, nur auswählte und genehmigte Rufnummern anrufen zu können. Die Rufnummer des Verteidigers gehört dazu, wenn er sie anmeldet und der Verteidiger entsprechend registriert ist.
Probleme gibt es jedoch dann, wenn der Verteidiger nur via Handynummer direkt erreichbar ist. Das Argument der Gefängnisverwaltung: Der Verteidiger könne ja sein Telefon an dritte Personen weitergeben, mit denen der Gefangene nicht telefonieren darf (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 StPO). Diese Hürde konnten wir überwinden.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass der Gefangene über ein Vermögen verfügen muss, das ausreicht, um damit eine ganze Telefongesellschaft zu kaufen.
Die Gefängnis-Telefonie wird nur von einem einzigen Unternehmen angeboten bzw. betrieben: Von der Telio Management GmbH aus Hamburg.
Was Telio dort schreibt hört sich gut an. Aber das Unternehmen ist nicht angetreten, um die Welt zu retten. Sondern um Gewinne zu erwirtschaften.
Und zwar aus den Mitteln, die den Gefangenen zur Verfügung stehen. Womit auf der Hand liegt: Je mehr die Gefangenen zahlen, desto höher fällt die Rendite aus.
Mein Mandant zahlt 23 Cent pro Minute, wenn er mit mir oder mit seiner Frau und seinen Kindern sprechen möchte, die auch nur über Handy erreichbar sind.
Schlaue Menschen könnten nun auf den Gedanken, es so zu machen wie wir damals als Studenten: Ich habe bei meinen Eltern angerufen, es dreimal klingeln lassen und dann aufgelegt. Das war das verabredete Zeichen für einen Rückruf; die Kosten für das Eltern-Sohn-Telefonat (aka: Ferngespräch) haben die Eltern übernommen.
Das funktioniert jedoch nicht im Knast. Wenn der Mandant seinen Verteidiger anruft, wird eine Rufnummer übermittelt, die man zwar zurückrufen kann. Das hört sich dann aber so an:
Anruf aus einer „öffentlichen Einrichtung“
Kann der Mandant seinen Verteidiger erreichen (was bei entsprechender Organisation auch gut funktioniert), muss er sich überlegen, was er bespricht. Mal eben den Akteninhalt erörtern oder einen Haftprüfungstermin vorbereiten geht echt ins Geld.
„Ab dem 1. April bekommt „Gerdes Communications“, der laut Senat günstigste Anbieter, für die nächsten drei Jahre den Zuschlag.“
Wenn man sich die Website dieses Meckenheimer Unternehmens anschaut, werden für die Gefangenen rosige Zeiten anbrechen. Ich hoffe allerdings, dass mein Mandant das nicht mehr erleben muss.
Nicht alle Beschuldigten verfügen in der Praxis über die gleichen Rechte. Wer in einer Wirtschaftsstrafsache beschuldigt wird, muss mit besonderen Einschränkungen rechnen.
Es hat ein paar Jahre gedauert, bis der Haftbefehl gegen den ehemaligen Vorstand einer Aktiengesellschaft verkündet werden konnte. Der Herr, nennen wir ihn Gottfried Gluffke, war „unterwegs“, hat sich dann aber selbst gestellt. Denn sein Pass war abgelaufen und einen neuen bekam er nicht (§ 7 Abs. 1 Ziff. 2 PassG), jedenfalls keinen echten.
Das Gericht war sichtlich erleichtert, ihm noch knapp vor Ablauf der Verjährungsfrist die Anklageschriftzustellen zu können. Und zwar per persönlicher Übergabe durch den Vorsitzenden im Termin zur Verkündung des Haftbefehls.
Meine Bemühungen um eine Haftverschonung waren aussichtslos, die Einlieferung in die Justizvollzugsanstalt war nicht zu vermeiden.
Gluffke stellte sich darauf ein, sich nun in aller Ruhe auf seine Verteidigung vorbereiten zu können. Ich hatte ihm aufgegeben, sich zunächst in die Anklage einzuarbeiten. Die dazugehörigen Akten sollte er kurzfristig bekommen.
Drogenschmuggel durch den Vorsitzenden?
Allerdings hatten Gluffke und sein Verteidiger die Rechnung ohne die Wachtmeister der Justizvollzugsanstalt gemacht. Noch bevor sich hinter ihm die schweren Stahltore schlossen, hat man ihm die beiden Stehordner mit der Anklageschrift weggenommen.
Auf meine entsprechende – erfolglose – Intervention einen Tag später musste ich mir sagen lassen: Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich in den Ordnern verbotene Gegenstände befinden.
Mit meinem Argument, dass Drogen oder Waffen in den Ordnern wohl eher unwahrscheinlich wären, es sei denn, man gehe davon aus, der Vorsitzende höchstpersönlich habe Gluffke damit ausstatten wollen, konnte ich wenig bis gar nichts erreichen.
Man begegnete mir statt dessen noch mit dem zusätzlichen Hinweis, es bestehe außerdem eine akute Brandgefahr, wenn Gluffke so viel Papier in seinem Haftraum habe.
In dem Haftprüfungstermin zwei Wochen später habe ich zwar die Aufhebung des Haftbefehls beantragt, weil die Verteidigung – insbesondere der Angeschuldigte – weder die Anklage kannte, noch Akteneinsicht erhalten hatte. Genützt hat das aber nichts.
Es hat dann weitere vier Wochen gedauert, bis Gottfried Gluffke sich über die konkreten Inhalte der gegen ihn erhobenen Vorwürfe informieren konnte.
Überforderte Haftanstalt
Wirtschaftsstrafsachen haben nun einmal die Eigenschaft, in der Regel recht umfangreich zu sein. Die beiden Stehordner und eine mittlere zweistellige Anzahl an Ermittlungsakten sind keine Seltenheit. Aber offenbar sind die Untersuchungshaftanstalten darauf nicht eingestellt und damit überfordert.
Die rechtsstaatliche Qualität eines Strafverfahrens erkennt man sehr gut daran, wie die Justiz mit den Rechten der Beschuldigten umgeht. In Frankfurt am Main sieht es nicht gut aus. Überhaupt nicht gut.
Das Arbeiten am Wochenende empfinde ich als ein Privileg meiner Selbstständigkeit. Ich muss nicht am Schreibtisch sitzen. Aber ich kann.
Die Kehrseite der Wochenendarbeit sind freie Tage unter der Woche: Wenn mir (und das Wetter) danach ist, setze ich mich auch an einem Mittwoch auf’s Fahrrad und hoppel damit durch den Wald.
Flexibilität und Unabhängigkeit sind die Essenzen meines freien Berufs. Ich bin dankbar, dass mir das gegönnt ist; es ist keine Selbstverständlichkeit.
Die schlimmsten Folgen der weltweiten Juristenschwemme sind die Lizenzbestimmungen, die sich unterbeschäftigte Vertragsrechtler aus den Fingern gesaugt haben. Und die außer ihnen niemand liest.
Die Installation neuer Software ist stets ein Abenteuer. Besonders bei der ersten Inbetriebnahme des neuen Rechners. Dem Auspacken (neudeutsch: Unboxing) folgt die Einrichtung des Betriebssystems.
Doch bevor es richtig losgehen kann, wird der künftige Computernutzer zu einer quälend langweiligen Lektüre genötigt.
Ich bin mir sehr sicher, dass jeder, aber auch wirklich jeder, der beginnt, dieses ziviljuristische Geschwurbel zu lesen, bereits nach dem ersten Satz seiner Einweisung in die Psychiatrie ein großes Stück näher gekommen ist:
„Abhängig davon, wie Sie die Windows-Software erworben haben, ist dies ist ein Lizenzvertrag (i) zwischen Ihnen und dem Gerätehersteller oder dem Softwareinstallationsunternehmen, der bzw. das die Software zusammen mit Ihrem Gerät vertreibt, oder (ii) zwischen Ihnen und der Microsoft Corporation (bzw. einem verbundenen Unternehmen von Microsoft, je nachdem, wo sich Ihr Wohnsitz oder bei einem Unternehmen Ihr Hauptgeschäftssitz befindet), wenn Sie die Software bei einem Einzelhändler erworben haben.“
Auch die gewissenhaftesten und sorgfältigsten Leser dieser Ergüsse werden spätestens beim Erreichen des Punkts am ersten Satzende tief durchatmen, denn sie haben anschließend 92 1/2 weitere Absätze mit einschläferndem und unverständlichem Text vor sich.
Das liest kein Mensch freiwillig, der seine sieben Sinne beieinander hat.
Also: Nicht annehmen, Deckel zumachen, In- oder Reboxing und zurück mit dem Rechner? Oder Augen zu und durch?
Ich denke, dass die Vertragsjuristen von Microsoft (und in vergleichbaren Fällen von anderen Unternehmen) genau darauf setzen: Dass der gemeine User sich erst dann mit dem Zeug ernsthaft auseinander setzen wird, wenn irgendetwas schief gegangen ist.
Und erst dann wird er merken, welche Bedeutung diese 43.868 Zeichen für ihn haben. Im Grunde kann man den ganzen Sermon in vier (statt 5.626) Worte zusammenfassen:
Wir haften für nix!
Ich werde den Teufel tun und meine mir noch zur Verfügung stehende restliche Lebenszeit mit dem Studium dieses Machwerks von Menschen zu verbringen, die nichts besseres zu tun haben, als sich Formulierungen einfallen zu lassen, von denen sie wissen, dass sie sowieso (fast) niemand zur Kenntnis nimmt.
Diesem ganzen AGB-Mist werde ich auch zukünftig schlicht mit Ignoranz begegnen. Es interessiert mich einfach nicht, was sich irgendwelche pathologisch konditionierte Juristengehirne ausgedacht haben.
Mein Klick auf den Button „Annehmen“ stellt den gestreckten Mittelfinger dar.
Das beA soll dazu dienen, einen sicheren Austausch von digitalisierten Daten zu gewährleisten. Für die Herstellung dieses Versand- und Empfangsprogramms haben wir Rechtsanwälte bereits einen Millionenbetrag gezahlt.
Bekommen haben wir dafür ein Instrument, das in der Praxis nur unter Androhung empfindlicher Übel genutzt wird, § 31a Abs. 6 BRAO. Weil das Programm den normal begabten Anwender (quasi also jeden Rechtsanwalt, der kein Informatik-Studium absolviert hat) überfordert.
Für den Betrieb dieser althergebrachten (sic!) Technologie erhebt die BRAK nach eigenen Angaben einen jährlichen Beitrag von voraussichtlich 65 bis 70 Euro für jeden der ca. 164.500 Berufsträger von den regionalen Rechtsanwaltskammern. Das sind 11,5 Mio. Euro. Jedes Jahr.
Damit man mit dieser Software arbeiten kann, muss sie aber erst einmal auf den Kanzleirechnern installiert werden. Selbst Anwender, die kein Problem damit haben, einen neuen Rechner mit einem komplett neuen Betriebssystem aufzusetzen und Netzwerke zu pflegen, sind mit dieser Installation überfordert. Die Kosten für die Installation durch einen IT-Dienstleister dürften fast im vierstelligen Bereich liegen.
Aber auch die alltägliche Nutzung ist ein einziges Trauerspiel. Bevor man einen selbst erstellten Schriftsatz an ein Gericht oder an die Staatsanwaltschaft übermitteln kann, muss der gemeine Anwender erst einmal eine Fortbildung absolvieren.
Dafür bietet beispielsweise die Berliner Rechtsanwaltskammer gleich drei Veranstaltungen an:
Einmal abgesehen von den Kosten für diese Bedienungsanleitungen in Höhe von 485 Euro soll der doppelt examinierte Auszubildende sich 12 Stunden lang erklären lassen, wie man PDF-Dokumente ans Gericht schickt und wie man Post vom Gericht entgegen nimmt.
Der Vorteil allerdings besteht darin, dass man nach der Teilnahme auch zuverlässig in der Lage ist, den monatlichen Spam Newsletter der BRAK zu empfangen (mit einem Link auf die Seite, von der man sich den Newsletter dann downloaden kann).
Meine Kanzlei ist seit 1996 stets mit der aktuellen Technologie ausgestattet. Seit vielen (10 oder mehr) Jahren arbeiten wir (nahezu) mit digitalisierten Akten. In all den Jahren habe ich mich noch nie so sehr und dauerhaft über eine Softwarelösung geärgert wie über dieses millionenschwere Machwerk (das zudem dafür kritisiert wird, nicht so sicher zu sein, wie es zu erwarten gewesen wäre).
Gegen jeden Ladendieb oder Schwarzfahrer wird strafermittelt; manch einer wird auch einsperrt. Die Verantwortlichen für das beA hingegen laufen immer noch frei rum.