Routine soll die Arbeit erleichtern. Allerdings hilft es nicht, wenn die Routine fehlerhaft oder, wie in diesem Fall, fehleranfällig ist.
In einer überschaubaren Wirtschaftsstrafsache habe ich meinen Standardtextbaustein „VertAnz“ an die Ermittlungsbehörde geschickt:
… ich zeige an, dass mich Herr Gottfried Gluffke mit seiner Verteidigung beauftragt hat, versichere anwaltlich meine ordnungsgemäße Bevollmächtigung und beantrage Akteneinsicht.
Damit kam die Sache in Gang. Die Staatsanwaltschaft war aber am Ende leider nicht davon abzuhalten, beim Amtsgericht den Erlass eines Strafbefehls zu beantragen.
Die zuständige Richterin hatte mit dem Antrag und der weiteren Verfügung erst einmal wenig Aufwand. Sie nutzte den auf Altpapier gedruckten Standardzettel, um die Zustellung des „mit/ohne Korrekturen“ erlassenen Strafbefehls bei ihrer Geschäftsstelle in Auftrag zu geben.
Weisungsgemäß erhielt Herr Gluffke den Strafbefehl mit formlos mit einfacher Post; mir als Verteidiger wurde er förmlich gegen EB (Empfangsbekenntnis) zugestellt.
Der geneigte Leser mag seinen Blick noch einmal auf meine Verteidigungsanzeige werfen: Eine „schriftliche Vollmacht“ war ihr nicht beigefügt.
Der zweite Blick gehe ins Gesetz, § 145a StPO:
Der gewählte Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, sowie der bestellte Verteidiger gelten als ermächtigt, Zustellungen und sonstige Mitteilungen für den Beschuldigten in Empfang zu nehmen.
Es gibt in der Akte keine auf mich lautende schriftliche Vollmacht. Deswegen liegt eine formell wirksame Zustellung nicht vor.
Das bedeutet, dem Gericht wird es schwerfallen, die ordnungsgemäße Zustellung des Strafbefehls nachzuweisen – sofern die Verteidigung diesen Fehler ausnutzt.
Wenn Verteidiger und Angeklagter schlicht schweigen auf die Frage, ob dem Angeklagten der Inhalt des Strafbefehls bekannt ist, fehlt es an einer essenziellen Prozessvoraussetzung.
Damit steht die Tür für ein fruchtbares Gespräch mit der Richterin einer völlig überlasteten Wirtschaftsabteilung beim Amtsgericht sperrangelweit offen:
Entweder man findet jetzt ein einvernehmliches Ende des Verfahrens. Oder der anberaumte Termin platzt – mit der Folge, dass der Strafbefehl noch einmal, diesmal dem Angeklagten, zugestellt und erneut terminiert werden muss. Anschließend müssen alle Beteiligten erneut geladen werden. (Ich habe es auch schon erlebt, dass sich das ganze Spiel dann mit der Zustellung der Ladung noch einmal wiederholte.)
Diese Art der Verteidigunganzeige ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht ist keine geheime Trickserei. Sondern dies beruht einfach auf meinem Wunsch, nicht als Zustellungsbote für das Gericht zur Verfügung stehen zu wollen. Dafür werde ich von meinem Mandanten nicht bezahlt.
Ich verstehe auch nicht, dass dieser Fehler von vielen Richter immer wieder gemacht wird. Er wäre locker vermeidbar, z.B. wenn das größte deutsche Amtsgericht mit zeitgemäßen Arbeitsmitteln ausgestattet wäre. Ein solcher Schmierzettel ist nun einmal fehleranfälliger als eine softwaregestützte Aktenführung:
Die Geschäftsstelle gibt obligatorisch per Mausklick bei der Aktenanlage ins System ein:
- Verteidigungsanzeige mit Vollmacht [_]
- Verteidigungsanzeige ohne Vollmacht [x]
Dann kann die Richterin nichts falsch machen, wenn sie eine Zustellung verfügt:
- Wenn Vollmacht (+), dann Zustellung per Empfangsbekenntnis an Verteidiger.
- Wenn Vollmacht (-), dann Zustellung per Postzustellungsurkunde an Angeklagten.
Solange aber mit vorsintflutlichen Mitteln gearbeitet werden muss, ist mit Fehler zu rechnen, die nicht zur Entlastung des Gerichts beitragen. Und die von Verteidigern zugunsten ihrer Mandanten genutzt werden (müssen).
Bild: shorpy.com