Furchtbare Fruchtbarkeit

Manchmal wiederholt sich die Geschichte doch. Wenn man nicht aufpasst, wenn *wir* nicht aufpassen. Denn es hört einfach nicht auf.

Deswegen einleitend zu diesem Beitrag ein aktualisiertes Zitat von Max Mannheimer: „Wir sind nicht Schuld an dem, was war; aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht.“

Als ich in den 80er Jahren an der Philipps-Universität Marburg mein Jura-Studium begonnen habe, wurde ich aufmerksam auf Erich Schwinge.

Damals in Marburg

Prof. Dr. Schwinge war in den Jahren 1954/1955 Rektor der Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät „meiner“ Uni. Zwischenzeitlich war er zwar emeritiert, gleichwohl hatte ihm die Verwaltung noch einen Raum reserviert, in dem er seinem juristischen Handwerk nachgehen konnte. An der Tür zu diesem Raum stand sein Name.

Schwinge war nicht nur Jura-Professor, sondern u.a. auch „gefragter Gutachter der Verteidigung in Strafprozessen gegen NS-Täter“. Und er war Kriegsgerichtsrat, deutlicher: Kriegsrichter.

Besondere Kritik fand nach 1945 der Fall des damals siebzehnjährigen Anton Reschny.[7] Dieser hatte als Wehrmachtsangehöriger, der noch nicht über seine Pflichten belehrt worden war, bei Aufräumarbeiten eine Geldbörse und zwei Armbanduhren an sich genommen. Daraufhin war er wegen Diebstahls unter Ausnutzung der Kriegsverhältnisse (§ 242 Reichsstrafgesetzbuch, § 4 Verordnung gegen Volksschädlinge) angeklagt worden, wofür eine Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren vorgesehen war. Schwinge wandte jedoch die Vorschriften des Militärstrafgesetzbuches über die Plünderung an. Das Gericht verurteilte Reschny auf dieser Basis zum Tod. Die Todesstrafe wurde allerdings nicht vollstreckt.[8]“ (Quelle: Wikipedia; ausführlicher: Ingo Müller, in: Furchtbare Juristen, München 1987, Seite 192).

Dieser Fall machte in der Uni und unter uns Studenten die Runde. Wir haben uns organisiert, recherchiert und informiert. Es gab die klassischen Widerstände der etablierten Kreise, u.a. wurde uns die weitere Forschung in den Archiven untersagt. Ingo Müller war einer der (wenigen) „erwachsenen“ Juristen, die uns gerade deswegen weiter unterstützten.

Die weiteren Veröffentlichungen der jeweiligen Vita mancher unserer Ausbilder (und deren Lehrer) prägte das Bewusstsein der Jurastudenten in den 80er und 90er Jahren, zumindest an der Uni Marburg. Die Namen der Lehrbuchautoren wie beispielsweise der Klassiker im Verwaltungsrecht Ernst Forsthoff und der von ihm geprägte Begriff der „Daseinsvorsorge“ bekamen ab da einen ganz anderen Klang.

Und heute?

Wie sieht es heute aus? Es gibt keine Kriegsrichter mehr an deutschen Fakultäten. Das Problem der alten Nazis hat eine biologische Lösung gefunden. Alles gut also?

Nein, nicht alles ist gut! Aber es gibt Hoffnung.

Maria Fiedler berichtete bereits im November 2021 im Berliner Tagesspiegel (leider hinter einer Paywall) über eine Initiative von Rechtsreferendaren, die sich dagegen wehren, von einem aktiven und engagierten Mitglied einer Partei ausgebildet zu werden, die ein Zuhause für Faschisten ist.

Antonín Brousek ist (beurlaubter) Richter am Amtsgericht Schöneberg. In dieser Eigenschaft ist er auch Leiter der Arbeitsgemeinschaft, in der Rechtsreferendare auf ihr zweites Staatsexamen und ihre Befähigung zum Richteramt vorbereitet werden.

Zur Zeit ist Brousek auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

Sein Weg zu diesem Posten führte über eine Liste der Partei für die Abgeordnetenhauswahl, für die er sich laut Bericht im Tagesspiegel u.a. mit folgendem Redebeitrag qualifizierte:

Diese Liste erinnert mich an Schindlers Liste. Wenn man auf der steht, dann lebt man, und wenn man nicht auf der steht, dann überlebt man nicht.

Andere Äußerungen dieses AfD-Funktionärs-Richters offenbaren seine nur wenig versteckte Intension, z.B. den lebhaften Kiez auf der Sonnenallee von allen Menschen säubern zu wollen, denen er den Ariernachweis verweigern würde.

Übernahme von Verantwortung

Die Referendare sind laut Tagesspiegelbericht zunächst mit ihren Versuchen, eine interne Klärung herbeizuführen, gegen die in der Justiz weit verbreitete Wattewand gelaufen. Sie wandten sich vergeblich an die Verwaltung mit der Bitte, diesen Ausbilder davon abzuhalten, seine menschenverachtende Einstellungen jungen Juristen mit auf ihren Weg in den Justizdienst zu geben.

Als sich beim Kammergericht nichts bewegen wollte, hat man sich an die Öffentlichkeit gewandt und den Tagesspiegel per eMail über die gefährliche Ausbildungssituation informiert.

Das Kammergericht, so heißt es in der Mail, habe sich dafür entschieden, die Referendar:innen von jemandem ausbilden zu lassen, dessen „menschenfeindliches Weltbild öffentlich bekannt“ sei. ‚Wie kann angesichts dessen davon ausgegangen werden, dass eine politisch neutrale Ausbildung gewährleistet ist? Wie sollen wir Referendar*innen und dabei insbesondere solche, die als migrantisch gelesen werden, uns in einem solchen Ausbildungsverhältnis sicher fühlen?’“ (Quelle: Tagesspiegel, s.o.)

Die auf diesem Weg hergestellte Öffentlichkeit soll nun doch intern zum Umdenken geführt haben. Angeblich soll Brousek in der nächsten Ausbildungsphase nicht weiter als Ausbilder beschäftigt werden.

Die Referendare, die sich für die Entfernung solcher Leute wie Bousek einsetzen, haben die von Max Mannheimer, der die Shoah überlebt hat, geforderte Verantwortung übernommen. Dafür sei ihnen gedankt.

Ich schließe mit Bertolt Brecht: „Dass keiner uns zu früh da triumphiert – der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!

Also nicht nachlassen, lieber Nachwuchs. Haut rein!

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