Abgesoffene Staatsanwaltschaft

Das Mandat ist zum typischen Klassiker geworden: Der Mandant hatte die Corona-Soforthilfen beantragt und erhalten. Zwei Wochen später hat er die Zahlung zurücküberwiesen. Er hatte festgestellt, dass er nicht anspruchsberechtigt ist.

Ein gutes Jahr später leitet die Staatsanwaltschaft Berlin gegen den Mandanten ein Ermittlungsverfahren ein. Sie wirft ihm vor, bedingt vorsätzlich eine Subventionszahlung ertrogen zu haben (§§ 263, 263a, 264 StGB).

Massenverfahren

Von dieser Art Verteidigungsaufträgen sind mehrere in meiner Kanzlei eingegangen. Befreundete Strafverteidiger berichten von vergleichbaren Mandaten.

In den Medien wird ebenfalls berichtet, dass die Staatsanwaltschaft exakt diese Sachverhalte zum Anlass genommen hat, hunderte solcher Ermittlungsverfahren einzuleiten.

In den einfachen Fällen ist das Ende des Verfahrens absehbar. Wenn es im Einzelfall keine weiteren Besonderheiten gibt, ist mit der Einstellung der Verfahren (§ 153 StPO), allenfalls gegen Zahlung einer kleinen Auflage (§ 153a StPO), zu rechnen.

Verteidigungslauf gegen Watte

Vor 3 Monaten habe ich mich in einer solchen Sache als Verteidiger gemeldet und Akteneinsicht beantragt, zunächst bei der Abteilung 241 des Berliner Landeskriminalamts.

Die Beamtin hat daraufhin die Akte mit meinem Akteneinsichtsgesuch an die Staatsanwaltschaft übermittelt und mir das dortige Aktenzeichen mitgeteilt: 283 JS ****/21, da ich nur von dort die Akte bekommen werde.

Um doppelt zu nähen, habe ich mich auch dort nocheinmal direkt gemeldet und auf mein Akteneinsichtsgesuch hingewiesen. Das war Mitte Mai.

Mangels irgendwelcher Reaktionen habe ich Mitte Juni an das Akteneinsichtsgesuch erinnert; und nun vor ein paar Tagen noch einmal.

Verhungern am Telefon

Da es meinem Mandanten unter den Nägeln brennt – so ein offenes Ermittlungsverfahren ist schließlich alles andere als ein Beruhigungsmittel – habe ich versucht, telefonischen Kontakt mit dem zuständigen Staatsanwalt aufzunehmen. Das funktioniert grundsätzlich nur über die Geschäftsstelle.

Die für dieses Verfahren zuständige Geschäftsstelle 283 hat laut (nicht öffentlichem) Telefonsverzeichnis sechs Durchwahlen für sechs verschiedene Sachbeabeiterinnen. Seit nunmehr zwei Tagen versuche ich, unter diesen sechs Nummern irgendjemand zu erreichen, um den Namen des zuständigen Staatsanwalts zu erfahren. Genervt, frustriert, vergeblich.

Es ist hinreichend bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Berlin völlig überlastet ist. Ich bedauere auch die Menschen aufrichtig, die unter diesen Bedingungen dort buckeln und arbeiten müssen.

Aber ich akzeptiere es nicht, dass man dort erst mehr oder minder massenhaft augenscheinlich sinnlose Verfahren einleitet, den Leuten Angst macht und dann – wenn auch unfreiwillig – abtaucht oder absäuft.

Das ultimative Hilfsmittel

Ich schicke nun eine Dienstaufsichtsbeschwerde hinterher und rechne damit, dass ich binnen weniger Tage auf diesem Wege meinem Ziel – den Namen des zuständigen Ermittlers zu erfahren – ein Stückchen weiter kommen werde.

Dass man immer erst mit der Keule kommen muss, damit in den verkorksten Laden Bewegung kommt. Ich würde gern darauf verzichten.

Ein Kommentar

  1. Haben Sie hierzu ein Update? Haben Sie Akteneinsicht inzwischen erlangt? Ich bin leider auch Betroffener der geschilderten Vorwürfe.

    • Ich verteidige in mehreren „Coronahilfe-Verfahren“. In einigen habe ich Akteneinsicht erhalten und teilweise konnte ich sogar die Einstellung nach § 170 II StPO erreichen. In anderen Fällen warte ich noch auf die Akten. Alle Fälle sind jedoch unterschiedlich und haben individuelle Besonderheiten, so dass ein Rückschluss von einem auf andere Verfahren eher nicht möglich ist.
       
      Insgesamt scheint aber eine recht milde Stimmung bei den Strafverfolgern zu herrschen … wenn ich Ihnen ein bisschen Optimismus mitgeben darf … 🙂
      crh

Kommentare sind geschlossen.